Ahmad Taheri

Im April 1969 erlebte die Goethe Universität Frankfurt a. M. die bis dato eindrücklichsten Proteste ihrer Geschichte. Eine Woche lang beteiligten sich zeitweise über tausend Studierende an Blockade-Aktionen auf dem Campus der Universität. Ausgelöst durch den Ablehnungsbescheid der Re-Immatrikulation des iranischen Studenten Ahmad Taheri. Ein paar Wochen zuvor war er in Abschiebehaft gekommen, nachdem er dem Student:innenführer Hans-Jürgen Krahl zu Hilfe kam, als dieser in der Nacht auf dem Campus zusammengeschlagen wurde. Doch wie sich herausstellte, waren es Schläger von der Zivilpolizei. Die beiden wurden verhaftet, doch während Krahl nach wenigen Stunden wieder freigelassen wurde, kam Taheri zunächst in Untersuchungs-, später in Abschiebehaft. Einiges wies darauf hin, dass die deutschen Behörden sich im Eilverfahren einen unliebsamen Zeugen entledigen wollten. Taheri war nicht nur beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), sondern auch bei einer der prominentesten iranischen Oppositionsgruppe, der Konföderation (CISNU) iranischer Studenten, aktiv. Den engen Beziehungen mit dem Schah-Regime verpflichtet, nutzte die BRD die Ausländergesetze, um iranische Oppositionelle zu verfolgen. Iranische und deutsche Studierendengruppen mobilisierten daraufhin zu der ersten dokumentierten Protestaktion gegen Abschiebung am Frankfurter Flughafen, in vollem Bewusstsein um die politische Brisanz. Der dadurch erzeugte mediale aber auch juristische Druck führte zur Aussetzung der Abschiebung. Taheris Re-Immatrikulationsbemühungen wurden hingegen mit der Begründung abgelehnt, dass die Frist für das Semester abgelaufen war. Der AStA vermutete darin einen Vorwand zur Unterstützung der Ausländerbehörden und rief zu Protesten auf. 500 Studierende begleiteten Taheri zum Immatrikulationsbüro. Er konnte zwar sein Studium nicht in jenem Semester fortsetzen, aber immerhin aufgrund der Solidaritätsaktionen in der Bundesrepublik bleiben. Drei Jahre später wurde sein Asylgesuch anerkannt.[1]

Während Ahmad Taheri Ende der 1960er Jahre eher zufällig in die bundesrepublikanische Öffentlichkeit gestolpert war, prägte er als Journalist in den 1980er und 1990er Jahren maßgeblich eine differenzierte Perspektive auf die WENA-Region (West-Asien & Nord-Afrika). In Mashhad, im Nordosten des Irans, unweit der Grenze zu Afghanistan und Turkmenistan, geboren, kam Ahmad Taheri Anfang der 1960er Jahre nach Europa, um zunächst Volkswirtschaft und dann Soziologie an der Universität in Frankfurt a. M. zu studieren. Später arbeitete er u.a. als Auslandskorrespondent für zahlreiche Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau, die FAZ, die taz oder die Zeit, aber auch den WDR und berichtete über den Iran, Afghanistan, Pakistan, den Irak oder den Senegal. Entsprechend war die Spannbreite der Themen, über die er schrieb, weit gefasst.

Nuanciert skizzierte er die politischen Machtkämpfe geistlicher Regierungsführer nach dem Tod Khomeinis im Iran, die Kämpfe der afghanischen Mujaheddin gegen die Sowjetunion, die neuen Bündnisse nach dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten und die Neuformierung der Weltordnung durch die Golfkriege. Gekonnt zeichnete er Kontinuitäten und Brüche nach, indem er aktuelle Ereignisse mit historischen Geschehnissen verband und literarische und religiöse Referenzen aufzeigte. Zu einem Zeitpunkt als Nicht ohne meine Tochter als Verkaufsschlager im Buchhandel und an den Kinokassen Rassismus und Stereotype popkulturell beförderte, stellte Ahmad Taheri seine journalistische Tätigkeit dem Zeitgeist, aber auch dem historischen Nachklang des Orientalismus entgegen, in dessen Rahmen die WENA-Region als irrational und inhärent gewaltvoll dargestellt wurde. Über Jahre hinweg berichtete er beispielsweise über die medial sehr präsente Fatwa, die Khomeini gegenüber Salman Rushdie für sein Buch Die Satanischen Verse ausgesprochen hatte. In seiner Rezension über den umstrittenen pakistanischen Film International Guerillas, der Salman Rushdie als Hauptschurken darstellte, zeigt Ahmad Taheri nicht nur wie die Fatwa von fundamentalistischen Kräften auch für kommerziellen Zwecken genutzt wurde, sondern auch anhand historischer Beispiele, wie die Auslegung der Blasphemie im Islam keineswegs so rabiat war, wie behauptet: „Bedauerlich, daß das Verbot des Films ‘International Guerillas’ in England aufgehoben wurde. Doch nicht etwa, weil der Film Haß und Gewalt sät oder antisemitisch ist, davon gibt es täglich eine Menge in meinen 19 TV-Kanälen. Vielmehr, weil das primitive Machwerk dem Ansehen des Islam schadet, mit dessen kulturellem Erbe ich, obwohl ein bekennender Atheist, tief verbunden bin.“[2]

Während die deutsche Medienlandschaft bis heute noch unzureichend vielfältige gesellschaftliche Perspektiven abbildet, gehörte Ahmad Taheri zu den wenigen migrantischen Journalist*innen, der nicht zuletzt aufgrund einer Bildungsbiografie, die nicht nur vom Kanon des globalen Nordens geprägt war, differenziert und nuanciert über den westasiatischen Raum berichtete. Die seit Herbst 2022 anhaltende revolutionäre Bewegung im Iran hat Ahmad Taheri nicht mehr mitbekommen. Vier Jahre zuvor verstarb er in Frankfurt a. M.. Seine fundierten Kenntnisse über die iranische Geschichte und die politischen Strukturen wären sicherlich eine Bereicherung für die deutschsprachige Berichterstattung, die dieser Tage tiefgründige Analysen vermissen lassen.

von Bahareh Sharifi


[1] Seibert, Nils: Vergessene Proteste – Internationalismus und Antirassismus 1964 – 1983, S. 144ff.

[2] taz, 24.8.1990) https://taz.de/!1754857/