Panel-Diskussion mit Vorstellung des Projektes „Dekoloniale Persönlichkeiten der Demokratie“
16.05.2023 – 19:30 Uhr
medico-Haus, Lindleystraße 15, 60314 Frankfurt
Teaser
Anlässlich des Jubiläums zu 175 Jahre Deutsche Nationalversammlung Paulskirche in Frankfurt findet vom 18. – 21.05.2023 das städtische Paulskirchenfest statt und das Netzwerk Paulskirche organisiert vom 12. bis 17. Mai die Frankfurter Tage der Demokratie, im Rahmen derer sich dezentral in Frankfurt mit demokratischer Mitbestimmung auseinandergesetzt wird. Demokratische Teilhabe, Erinnerungskultur und die Gestaltung von Prozessen waren und sind geprägt von Ein- und Ausschlüssen entlang von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Mirrianne Mahn, Dr. Onur Suzan Nobrega und Jeanne Nzakizabandi werfen einen post- und dekolonialen Blick auf diese Themen, moderiert von Aisha Camara als Teil eines Projektes, das wegweisende Stimmen im Diskurs hervorhebt.
Thesen
1. Konzept und Diskurs von Demokratie in Deutschland
Demokratie als Konzept und Diskurs ist immer im Wandel und Ausdruck einer hegemonialen Erzählung in Deutschland. Dabei kommen jedoch wichtige Aspekte wie demokratische Entwürfe außerhalb Deutschlands, die globalen Einflüsse auf die Entwicklung von Demokratie in Deutschland sowie Deutschlands Rolle in der Untergrabung demokratischer Bestrebungen weltweit (damals und heute) zu kurz. Darüber hinaus spielt die Vorstellung des Eigenen und seiner selbst als demokratisch und mit demokratischer Tradition eine wichtige Rolle in der Abgrenzung zu Anderen, funktioniert damit als ein zentrales Element von Rassismus. Eine de- oder postkoloniale Perspektive auf Demokratie in Deutschland beleuchtet diese Aspekte und trägt zu einer Erweiterung bzw. Neukonzeption des Konzepts bei.
- Was ist bei der Diskussion von ‘Demokratie’ wichtig? Was fehlt bisher?
- Wie kann eine de- oder postkoloniale Perspektive auf unsere Demokratie aussehen?
- Kann mit dem Konzept ‘Demokratie’ gearbeitet werden? Oder braucht es Neukonzeption?
2. Erinnerungskultur und -praxis
Das Paulskirchenjubiläum feiert eine konstruierte Kontinuität von Demokratie in Deutschland, und macht damit z.B. die Kolonialzeit und die Zeit des Nationalsozialismus “unsichtbar”. In die Zeit der Liberalisierung des Bürgertums fällt auch die Liberalisierung der Märkte: die Industrialisierung der Moderne markiert auch die Ökonomisierung von Böden, Rohstoffen, Gütern, Produkten, Ideen und auch Menschen. Diese gesteigerte Mobilität führte zu überregionalen, nationalen und internationalen (Arbeits-)Migrationsregimen. Die Beschaffung von Arbeitskräften, ökonomische Profitorientierung und Ausbeutung zum nationalen Vorteil des eigenen Bürgertums und der eigenen Bevölkerung stehen noch heute im Kontrast zu anderen Bevölkerungsgruppen im In- und Ausland, sodass die Ökonomie weiterhin eng mit demokratischen (Un-)Gleichheiten, Rechten und Teilhabe verbunden ist und im Wettbewerb steht. Die hegemoniale Demokratiekonstruktion übersieht globale und lokale Bezüge, Brüche und Ungleichheiten. Sie ermöglicht so nur ein “positives” Gedenken für einen bestimmten Teil Deutschlands, und blendet die Perspektiven von BIPoC Personen, queeren Menschen, Frauen, behinderten Menschen, Migrant*innen, etc. aus. Diese Form der Erinnerungskultur spiegelt gesellschaftliche Machtverhältnisse wider, welche die weiße, männliche, wohlhabende Perspektive in den Vordergrund stellt und als allgemeingültig wahrnimmt. Zugleich steht die Vorstellung einer gut aufgearbeiteten deutschen Vergangenheit dem entgegen, dass in Wirklichkeit viele Perspektiven und Elemente von ihr ausgeschlossen oder unterrepräsentiert sind und dies somit in der Gegenwart umso stärker widerhallt. Die Rekonstruktionsarchitektur in Bezug auf die Paulskirche ist dafür ein gutes Beispiel: architektonische und städtebauliche Maßnahmen stellen den Versuch dar, die nationale Vergangenheit in ein positives Geschichtsbild zu stellen und sie ihrer historischen Widersprüchlichkeit zu entledigen.
- Wer, was und wie wird erinnert vs. nicht erinnert in unserer Stadt und Gesellschaft?
- Wessen Perspektiven und welche Praktiken sollten einen neuen Stellenwert in der Erinnerungskultur in Deutschland aus einer systemischen Perspektive erhalten?
- Welche Vision gibt es für neue Ausgestaltungen von Erinnerung, Aufarbeitung und Verantwortung?
3. Praxis von Demokratie heute
Auch heute sind demokratische Teilhabe und die Gestaltung von Prozessen geprägt von Ein- und Ausschlüssen entlang von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Dies wird konstituiert auf einer Vielzahl von Ebenen und Orten, vom Individuum bishin zur globalen Ebene.
- Wer nimmt an demokratischen Prozessen teil, wie funktionieren Ein- und Ausschlüsse?
- Was ist in Bezug auf die Zukunft der Demokratie wünschenswert? Welche Veränderungen sind denkbar?
- Wie sollte de-/ postkoloniale Erinnerungskultur aussehen?
- Wie könnte die hegemoniale, nationale Perspektive auf Erinnerung durch einen systemischen Ansatz erweitert werden? Was ist die Konsequenz dieses Ansatzes für die Erinnerungspraxis und das Demokratie-Konzept einer plural gewachsenen Gesellschaft der Gegenwart?
Panelziele
Für ffm-postkolonial ist es wichtig, mit den Panelisten Mirrianne Mahn, Dr. Onur Suzan Nobrega und Jeanne Nzakizabandi unterschiedliche Formen, Ebenen und Möglichkeiten von demokratischem, kritischem Handeln einzuladen. Außerdem ist es wichtig zu unterstreichen, dass die in den hegemonialen Diskursen übersehenen Stimmen nicht homogen, sondern auch divers und plural sein können. Entsprechend gibt es auch hier Herausforderungen und Verhandlungen in Möglichkeiten der Community-übergreifenden und intersektionalen Vergesellschaftungsformen und Solidarisierungen.
Projektbeteiligte
Jordan Awori, Annika Burghoff, Sebastian Garbe, Tülay Güneş, Maya Heins, Cornelia Pürschel, Mirjam Tutzer.