Gedanken von frankfurt postkolonial zur Verleihung des diesjährigen Antirassismus-Preis der Stadt Frankfurt an unsere Initiative

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Die Stadt Frankfurt, vertreten durch das Amt für multikulturelle Angelegenheiten, hat unserer Initiative den dieses Jahr neu geschaffenen und mit 5.000 Euro dotierten Antirassismus-Preis verliehen. Im Kontext dieser durchaus symbolisch wichtigen Ehrung möchten wir kurz unsere Gedanken teilen.

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Zunächst möchten wir uns bei all denjenigen Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen bedanken, die seit fast einem Jahrzehnt unser Angebot wahrnehmen, sich auf eine (post)koloniale Spurensuche in der Stadt Frankfurt zu begeben. Ohne Ihr und Euer Interesse und Bereitschaft an rassismus- und kolonialismuskritischer Auseinandersetzung wäre unsere Arbeit nicht möglich. Konkret möchten wir zudem dem Entwicklungspolitischen Netzwerk Hessen (EPN) für die vielfältige Unterstützung unserer Arbeit und der Einbettung in weitere kritische Rundgangskontexte danken. Ein besonderer Dank geht an die lokale Gruppe der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), die nicht nur unseren Rundgang regelmäßig kritisch begleiten sondern uns auch inspirieren und zur kritischen (Selbst-)Reflexion ermutigen. Danke auch an das Künstlerhaus Mousonturm sowie an das Weltkulturenmuseum und Historische Museum Frankfurt, die uns Räume zur kritischen Aufarbeitung ihrer und der Frankfurter Geschichte im Allgemeinen zur Verfügung gestellt haben. Über die Stadtgrenzen hinaus bedanken wir uns bei unseren Mitstreiter*innen der vielen rassismus- und kolonialismuskritischen »postkolonial« Initiativen in Deutschland – von München bis Berlin, von Leipzig bis Köln.

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Während diese Ehrung ein passender Anlass ist, um uns bei unseren Netzwerken, Unterstützer*innen und Rundgänger*innen zu bedanken, möchten wir die Gelegenheit auch nutzen, um über das Erreichte nachzudenken. Augenscheinlich werden antirassistisches Engagement und kritische Auseinandersetzungen mit der Frankfurter und der Deutschen Kolonialgeschichte von Seiten der Stadt Frankfurt gewürdigt und von der allgemeinen Öffentlichkeit begrüßt – das freut uns sehr. Dennoch ist es verwunderlich, dass gerade eine Initiative geehrt wird, die aus mehrheitlich weiß positionierten Personen mit akademischem Bildungshintergrund besteht. Rassistische Strukturen wurden in erster Linie von uns weißen Menschen geschaffen und wir sind es, die davon nach wie vor profitieren. Insofern ist es für uns selbstverständlich, dass wir auch in der Verantwortung stehen, dazu beizutragen, diese Strukturen zu überwinden.

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Es gibt in der Frankfurter Zivilgesellschaft zahlreiche selbstorganisierte Gruppen und Initiativen, die teilweise seit Jahrzehnten gegen Rassismus und Diskriminierung ankämpfen und ihre Stimme erheben. Doch leider wurde oder wird ihnen nur selten zugehört und ihre essentielle Arbeit oft unzureichend wahrgenommen. Unsere Stellungnahme ist daher ein Aufruf, all jene Stimmen zu würdigen, die teilweise aufgrund von eigener Betroffenheit für eine antirassistische (Frankfurter Stadt-)Gesellschaft kämpfen. Daher werden wir das Preisgeld an diese Organisationen spenden und unter anderem für ein Kooperationsprojekt mit der ISD verwenden.

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Wir freuen uns durchaus über die Anerkennung unseres »Engagement[s] in der Aufklärungsarbeit über Rassismus und Diskriminierung in unserer Geschichte«. Dennoch sorgen wir uns, dass der Fokus auf die Vergangenheit, die in dieser Begründung mitschwingt, die gegenwärtigen Formen von Rassismus in Frankfurt, die andere Gruppen eher adressieren als wir, unter den Tisch fallen lässt. Denn koloniale Geschichte hat nicht aufgehört – sie lebt in veränderter Form weiter und muss nach wie vor überwunden werden. Unser Engagement zu würdigen bedeutet daher, sich aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung im Hier und Jetzt einzusetzen. Denn auch wenn Spuren die Zeichen von etwas Vergangenem sind, sind sie und ihre fatale Wirkung immer noch aktuell. Daher geht es bei all unseren Rundgangsstationen ausgehend von der Vergangenheit immer auch um Rassismus und Diskriminierung in der heutigen Zeit.

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In einigen Fällen – etwa im Falle der M-Apotheken – ist es durchaus geboten, bestimmte Manifestationen der kolonialen Vergangenheit oder rassistischen Gegenwart zu entfernen (und adäquat zu dokumentieren). Wir setzen uns jedoch nicht dafür ein, alle (post-)kolonialen Spuren aus dem Stadtbild zu tilgen, denn ein pauschaler kosmetischer Eingriff in das Stadtbild wäre vielfach genau das: Bloße Kosmetik, die Gefahr läuft, die deutsche Kolonialvergangenheit und gegenwärtigen Machtasymmetrien zu negieren. Wenn sich eine Stadt wie Frankfurt am Main tatsächlich Antirassismus auf die Fahnen schreibt, muss diese Gebärde unterfüttert werden: Die Stadtpolitik muss ihre beschränkten und doch zahlreichen Möglichkeiten nutzen, die strukturellen und materiellen Wurzeln von Rassismus und Ungleichheit anzugehen.

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Was brauchen wir also für ein antirassistisches und diskriminierungsfreies Zusammenleben in der Stadt? Wir brauchen nicht nur Ehrungen, sondern verlässliche finanzielle Förderungen für selbstorganisierte Gruppen von Migrant*innen und BPoCs sowie mehr Diversität in der Stadtverwaltung, in Schulen und Medien. Wir brauchen einen sicheren Hafen und die Einhaltung von Menschenrechten in der Asylpolitik. Wir brauchen Übernachtungsmöglichkeiten und Schutzräume für geflüchtete Menschen sowie mehr Geld für Frauenhäuser, die mehrheitlich von Migrant*innen und geflüchteten Frauen aufgesucht werden. Wir brauchen ein Ende von Racial Profiling und rechten Netzwerken in der Polizei sowie eine Studie über Rassismus und Rechtsextremismus in den Behörden. Wir brauchen rassismus- und kolonialismuskritische Perspektiven in allen Frankfurter Museen und ein diverses sowie rassismussensibles Museumspersonal. Wir brauchen Kinder- und Schulbücher, in denen Schwarze Kinder und Kinder of Color repräsentiert werden und Rassismus nicht reproduziert wird. Wir brauchen ein Bewusstsein, dass black facing rassistisch ist – in der Werbung wie auch an Karneval. Wir brauchen ein Straßenbild, in dem sich alle wiederfinden können, ohne rassistischen Begriffen und Stereotypen begegnen zu müssen. Wir brauchen eine lückenlose Aufklärung der NSU-Morde, der Terroranschläge von Halle und Hanau und des Mords an Christy Schwundeck. Wir brauchen konkrete antirassistische Solidarität der weißen Mehrheitsgesellschaft. Wir brauchen Taten statt Worte, besser Heute als Morgen – dekolonial statt nur postkolonial. Wir sehen diese Preisverleihung als Selbstverpflichtung der Stadt Frankfurt, dem nachzukommen. Machen Sie Frankfurt zu einer antirassistischen und diskriminierungsfreien Stadt, in der alle Platz haben und gerne leben!

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