Mirrianne Mahn, geboren 1989 in Kamerun, ist Stadtverordnete für die Partei Bündnis 90/Die Grünen in Frankfurt am Main sowie freiberufliche Referentin für Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierung, politische Aktivistin, und Theatermacherin. In der Stadtpolitik von Frankfurt am Main ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Sport und des Ausschusses für Bildung und Schulbau. Sie setzt sich in ihren Arbeitsbereichen gegen alle Formen der Diskriminierung und für mehr Diversität in allen Lebensbereichen ein.
In ihren Reden als Politikerin und in öffentlichen Interventionen kritisiert sie immer wieder die unzureichende Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt und weist auf die Doppelmoral der der Mehrheits- und Dominanzgesellschaft im Umgang mit Rede- oder Meinungsfreiheit hin. So ist Mirrianne Mahn zu einer starken und lauten Stimme gegen Rassismus und für eine rassismusfreie, demokratischen Kultur in Frankfurt am Main und darüber hinaus geworden.
von Sebastian Garbe
Anlässlich des zweijährigen Gedenkens an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau, hielt sie im Frühjahr 2021 folgende Rede im Frankfurter Stadtparlament, die wir in Auszügen wiedergeben möchten:
„Liebe Stadtverordnetenvorsteherin, Liebe Kolleg*innen,
Vor etwas über einem Monat hat der rechtsextreme Mordanschlag in Hanau, den wir hier alle zutiefst verurteilen, zum zweiten Mal gejährt. Wenn Rassismus so leicht zu erkennen und anzuprangern wäre wie Rechtsextremismus, wäre die Aufgabe der Antirassist*innen leicht. Aber Rassismus gedeiht dort, wo sich die Verantwortlichen in der Politik nicht eingestehen wollen, wie tief er in uns und den Strukturen, in denen wir uns bewegen, verankert ist.
Wir reden uns ein, dass wir gute Menschen und nicht rassistisch sind. Wir wollen glauben, dass echter Rassismus nur aus bösen Menschen und der AFD und bei BFF spricht. Wir reden uns ein, dass es bei Rassismus um moralische Werte geht, während es stattdessen um die Überlebensstrategie der systemischen Macht geht. Hier geht es nicht um gute und schlechte Menschen. Hier geht es um ein Konstrukt in unseren Strukturen und auch hier im Parlament.
Struktureller Rassismus ist nur schwer zur Rechenschaft zu ziehen. Er gleitet einem aus den Händen. Er ist nicht so leicht zu erkennen oder zu erfassen wie der Mord an Walter Lübcke oder der Anschlag in Hanau. Er ist eloquent, rational und lächelt dir meistens ins Gesicht, wenn er dir erklärt, dass die Ächtung eines Begriffes doch nichts verändern würde und man es deswegen am besten gleich sein lassen sollte. Er ist respektabel. Es trägt eine Krawatte und Stöckelschuhe.
Struktureller Rassismus besteht aus dutzenden, hunderten oder tausenden von Menschen mit denselben Vorurteilen, die sich zu einer Organisation zusammenschließen und entsprechend handeln.
Struktureller Rassismus ist ein undurchdringliches weißes Parteisystem, was von diesen Menschen geschaffen wird und an das sich jeder anpassen muss. „Strukturell” ist hier das einzige Wort, das ich habe, um das zu beschreiben, was von so vielen hier im Raum immer noch unbemerkt bleibt.
Dass ich mir vor Wut die „afrikanischen Locken raufe“, dass Zurückstellung ja nicht Ablehnung bedeutet.
Dass Tschaikowski und Van Gogh leicht über die Lippen gehen, jedoch Krzelj für die Menschen hier so schwer auszusprechen ist, dass sie es noch nicht einmal versuchen wollen.
Dass zusätzlich betont werden muss, dass ich sachlich, ruhig, professionell, sogar rational über Rassismus sprechen kann.
Diese Annahme käme es dem gleich, wenn ich annehmen würde, dass der Großteil der hier versammelten Menschen nicht neutral und sachlich über Sonnenbrand sprechen könnten.
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es sich anfühlt nach einem Tag am Strand Krebsrot zu werden oder wie sehr es auf einer Scala von 1 bis 10 schmerzt, wenn sich die Haut irgendwann anfängt von meinem Gesicht und meinen Schultern zu schälen. Nein diese Erfahrungen habe ich nicht. Und trotzdem wäre es für mich eine Selbstverständlichkeit beim nächsten Betriebsausflug des Frankfurter Stadtparlaments an den Timmendorfer Strand, ihre Rücken einzucremen oder ihnen eine Packung gefrorene Erbsen auf den verbrannten Nacken zu legen. Und das tue ich nicht, weil von meinem Abo bei Bofrost noch Erbsen übrig sind oder ich es mag mit fettigen Händen am Strand zu sitzen, sondern weil ich ein vernunftbegabtes Wesen und empathisch bin. Dafür muss ich die Erfahrung an Sonnenbrand zu leiden nicht persönlich haben.
Die Erfahrungen die ich aber mache sind, dass Sie, wenn ich Frustration oder Verärgerung über Ignoranz und mangelnde Empathie zum Ausdruck bringe, auf ihre vorgefertigten rassistischen Tropen über wütende Schwarze Menschen zurückgreifen, die eine Bedrohung für Koalition und den Parteifrieden darstellen.
Struktureller Rassismus ist, dass wir uns selbst dafür applaudieren, dass wir eine Frau auf Color mit Rassismuserfahrungen am eigenen Leib zu unserer Bürgermeisterin und Dezernentin für Diversität und Antidiskriminierung gewählt haben.
Sie dann aber zum Scheitern verurteilen, indem wir ihr Dezernat mit einem so lächerlich niedrigen Budget ausstatten, dass sie ja nicht zu ungemütlich werden kann.
Inmitten aller Gespräche dieser guten, netten Menschen, die sich durch die Debatte über Rassismus zum Schweigen gebracht fühlen, gibt es eine Art ironischen und eklatanten Mangel an Verständnis oder Empathie für diejenigen von uns, die ihr ganzes Leben lang als anders gezeichnet wurden und auch ohne Erlass der Stadtverordnetenversammlung ständig schweigen müssen. Menschen of Color müssen ein Leben lang mit Zensur leben. Ich habe die Wahl: die Wahrheit sagen und mit Repressalien rechnen, oder mir auf die Zunge beißen und die Demütigungen hinzunehmen.
Aber jetzt wird sich gleich wahrscheinlich vehement gewehrt werden. „Das hatte alles nichts mit Rassismus zu tun.“
„So sind nun mal die realpolitischen Prozesse.“
„Jetzt spielt sie wieder die Schwarzen Karte.“
„Boah eh! Die Rassismus Keule“
„Wir sind hier alle gleich und werden auch alle immer gleichbehandelt.“
„Der Gegenwind, den du bekommst, hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern nur damit, dass du eine Querulantin bist.“
Aber zu behaupten, Hautfarbe oder Migrantisierung nicht zu sehen, bedeutet, die Existenz von strukturellem Rassismus und einer Geschichte weißer Dominanz Herrschaft zu ignorieren.
Wer sich dem Mythos hingibt, dass wir alle gleich sind, verleugnet das parteipolitische und soziale Erbe einer deutschen Gesellschaft, die zutiefst rassistisch sind.
Mein Schwarzsein ist gegen meinen Willen politisiert worden, weil Rassismus ihm eine Bedeutung verliehen hat. Ich bin verdammte Kulturpolitikerin und muss schon wieder über Rassismus sprechen.
Das ist eine Situation, die ich mir nicht ausgesucht habe. Ich werde aber immer den Finger in die Wunde legen und sie darauf hinweisen.
Ich möchte nicht, dass dieser Fakt vorsätzlich ignoriert wird, um eine Art prekäre, falsche Harmonie zu schaffen.
Es ist Zeit für ein echtes Umdenken und echte Veränderungen.
Antirassismus ernst nehmen bedeutet auch Geld in die Hand zu nehmen.
- Wir brauchen die Racial Profiling Studie bei der Polizei.
- Wir brauchen verpflichtende Weiterbildungen bei den Mitarbeitenden in der Stadtverwaltung.
- Wir brauchen endlich mehr migrantisierte Menschen in unseren Institutionen.
- Wir brauchen eine unabhängige Diskriminierungsstelle, die ihre Arbeit auch macht.
- Wie müssen auch endlich Politik für ALLE Menschen machen, damit diese rechte Peinlichkeit dahinten nicht nochmal ins Parlament gewählt wird.“