Willi Münzenberg

Willi Münzenberg – Organisator früher transnationaler Solidarität

Im Juli 1929 fand in Frankfurt am Main der II. Anti-Imperialistische Kongress statt. „Dank der unbeugsamen Energie des Gründers und Sekretärs der Liga, des kommunistischen Abgeordneten Willy [sic!] Münzenberg, und zahlreicher, in aller Welt wirkender Mitarbeiter, ist die Liga, unbeirrt durch Enttäuschungen und Erschütterungen, ihren Weg weitergegangen“ schreibt die Frauenrechtlerin Helene Stöcker in einem zeitgenössischen Artikel[1] und schließt pathetisch: „Gerade die ‘Liga gegen Imperialismus‘ könnte und sollte — wenn sich ihr alle wahrhaft für Frieden und Freiheit Kämpfenden anschließen — jene umfassendste aller „Internationalen” werden, die am Ende „das Menschenrecht erkämpft“.[2]

Der Name Wilhelm „Willi“ Münzenberg ist eng mit zwei Bereichen seines Schaffens verknüpft: Agitation und Propaganda durch seine, mit den politischen Kampagnen und Netzwerken eng verknüpften, Medienunternehmungen  – was ihm den Spitznamen des „roten Medienzars“ einbrachte  – und seine Aktivitäten auf dem Feld transnationaler und antikolonialer Solidarität in der Zwischenkriegszeit. Geboren am 14. August 1889 in Erfurt und dort bereits als Lehrling organisiert, wurde Münzenberg nach Lehr- und Wanderjahren im Alter von zwanzig Jahren Teil der sozialistischen Jugendbewegung in der Schweiz. Nach seiner Ausweisung nach Deutschland 1918 wurde er Mitglied im Spartakusbund und später der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Mehrere Jahre Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Frankfurt / Hanau, lag seine bedeutendste Rolle in dem Aufbau, der Organisation und Koordination transnationaler Solidarität – immer mit Nähe zur Komintern. 1933 musste Münzenberg fliehen und starb 1940 unter final nie aufgeklärten Umständen im Exil.

War die 1921 gegründete „Internationalen Arbeiterhilfe“ (IAH) nach heutigem Etikett anfangs eher eine Organisation der praktischen Solidarität durch Sammeln von Spenden, wandte sich sein Aktionsradius zunehmend auf antikoloniale Kampagnen wie „Hände weg von China“ oder „Gegen die Greuel in Syrien“, aus das später zum „Aktionskomitee gegen die imperialistische Kolonialpolitik“ erweitert wurde. Die klassenbasierten Kampagnen der IAH ermutigten Arbeiter*innen „global zu denken“, ihre eigenen (zukünftigen) Lebensumständen mit internationalen Vorgängen zu verknüpfen. Einen Schritt dahin war die Organisierung des ersten „Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus“ in Brüssel im Februar 1927 durch Münzenberg. Bis zu 174 Delegierte, ein Potpourri aus Akademiker:innen, Aktivist:innen und Repräsentant:innen vieler Organisationen fand sich zusammen. Neben europäischen Anwesenden stellten die Vertreter:innen von in Europa aktiven Exilorganisationen die Mehrheit, ebenso fanden Vertreter:innen aus dem heutigen „Globalen Süden“ ihren Weg, darunter Jawaharlal Nehru (Indien), Mohammad Hatta (Indonesien) oder J.-T. Gumede (Südafrika). Weniger Monate später wurde die Liga gegen den Imperialismus (League against Imperialism and for National Independence – LAI) gegründet, in der Münzenberg neben Virendranath Chattopadhyaya und Bohumír Šmeral das Sekretariat bildete. Durch das Engagement von Nationalist:innen aus den (früheren) Kolonien, linken Sozialdemokraten, sich parteilos verorteten Intellektuellen und Kommunist*innen entstand die „breiteste bündnispolitische Organisation der Komintern“. Die transnationalen Aktivitäten der LAI umfassten neben den Gründungen von ‘starken’ nationalen Sektionen in Europa, den USA und Lateinamerika, und auch die Entwicklung einer Reihe von Propagandakampagnen.

Sicherlich, Münzenberg distanzierte sich spät – vielleicht zu spät – von den aus Moskau bestimmten Parteikommunismus. Jedoch bildete er immer Allianzen mit linken, nichtkommunistischen Bürgerlichen und Intellektuellen und suchte Verbindungen zu national-bürgerlichen revolutionären Parteien und antikolonialen Bewegungen. Der Frankfurter Kongress 1929 steht für beides symbolisch: Auf der einen Seite trotz divergenten Ansichten den verbindenden, gerade auch antikolonialen Kampf, zu suchen. Der Kongress war größer als der Brüsseler Kongress und wurde von 263 Delegierten aus 31 Ländern und Regionen besucht, die 99 Organisationen vertraten. Unter den Teilnehmer*innen befand sich u.a. der spätere kenianische Präsident Jomo Kenyatta.Dem Frankfurter Kongress ging ein antiimperialistischer Jugendkongress voraus. Auf der anderen Seite der ultralinke Einfluss der Komintern, die ab 1928 die Einheitsfront zwischen kommunistischen Parteien und antikolonialen Bewegungen aufgab und Selbstständigkeit und Existenzkrise bis zum Ende 1937 der Liga einläutete. Dennoch gründete sich im gleichen Jahr des Kongresses in Frankfurt die Liga zur Verteidigung der N****rasse, die im Berliner Büro der Liga saß und in der Joseph Bilé als leitender Sekretär arbeitete.

Für eine Vorstellung wie Münzenberg mit seinem Wirken oder Denken das herkömmliche Demokratieverständnis erweitert (hat), kann auf eine jüngere Aussage von Mark Terkessidis zurückgegriffen werden: „Münzenberg hielt, was zu diesem Zeitpunkt durchaus ungewöhnlich war, den antikolonialen Kampf für eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben, wobei er eine Interessensausgleich zwischen den europäischen Arbeiterklassen und den unterdrückten Kolonialsubjekten sah“.[3] Neben dem Umfang und der Absicht, den antikolonialen Kampf ‘globalisiert’ zu haben, dürfte wohl ein weiterer Verdienst sein, von Beginn an vor dem Faschismus gewarnt und diesen demaskiert zu haben und eine Rückbesinnung auf die demokratischen Wurzeln der Arbeiterbewegung – insbesondere unter dem Eindruck der zunehmenden Stalinisierung von Institutionen – immer wieder eingefordert zu haben.

von Andreas Bohne


[1] Helene Stöcker: Der II. Anti-Imperialistische Kongreß in Frankfurt a. M.. In: Die Friedens-Warte, 29 (1929), 9, S. 270-274 (S. 270).

[2] Ebda., S. 274.

[3] Mark Terkessidis: 1929 – Die Liga gegen Imperialismus bekommt ein neues Büro in der Friedrichsstraße. In: Natalie Bayer/Mark Terkessidis: Die Postkoloniale Stadt lesen. Historische Erkundungen in Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin (Verbrecher-Verlag), 2022, S. 263-275 (S. 270).

Weiterführende Literatur:

Bernhard H. Bayerlein, Kasper Braskén und Uwe Sonnenberg (Hrsg.): Globale Räume für radikale transnationale Solidarität. Beiträge zum Ersten Internationalen Willi-Münzenberg-Kongress 2015. Berlin 2018 (https://www.muenzenbergforum.de/wp-content/uploads/2018/07/IWMF_V15.pdf)