Hintergrund
Für das 175. Paulskirchenjubiläum im Jahr 2023 hat sich ein Netzwerk aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen, das „Netzwerk Paulskirche – Demokratie im Kommen“ gegründet, um Demokratie neu zu denken. Als frankfurt postkolonial sind wir in diesem Netzwerk beteiligt und werden die geplanten Aktivitäten nutzen, um einen post-und dekolonialen Gegenakzent zur hegemonialen Erinnerungskultur zu setzen und für ein erweitertes Demokratieverständnis einzutreten. Wir kritisieren an der dominanten Erzählung über die deutsche Demokratiegeschichte einerseits, dass diese den deutschen Kolonialismus als einen konstitutiven Bestandteil der deutschen Nationalgeschichte zum größten Teil ausblendet. Koloniale und imperiale Bestrebungen sind jedoch mit der historischen und politischen Genese der Demokratie in diesem Land stark verwoben. Anderseits kritisieren wir, dass die personen- und ortsbezogene Würdigung deutscher Demokratiegeschichte, u.a. im Projekt „100 Köpfe der Demokratie“ der „Stiftung der deutschen Demokratiegeschichte“, oftmals sehr selektiv ist und meist männliche, weiße Personen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Schwarze Menschen und People of Colour finden in diesem Projekt eher als tokens Erwähnung, anstatt dass ihr antirassistisches Wirken gewürdigt. Diese Kritik haben wir im Frühjahr 2021 bundesweit gemeinsam mit diasporischen Black Communities, Selbstorganisationen von People of Color (BIPoC) und dekolonialen/postkoloniale Initiativen aus der Zivilgesellschaft mit einem Offenen Brief kritisiert.
Unser Projekt
Wir möchten daher das 175. Paulskirchenjubiläum und unsere Einbettung im „Netzwerk Paulskirche – Demokratie im Kommen“ nutzen, um eine dekoloniale Kontextualisierung der „Frankfurter Tage der Demokratie“ zu erreichen. Dazu erstellen wir eine Projekthomepage, auf der wir eine Reihe von Persönlichkeiten versammelt haben, die einen anti-und dekolonialen sowie antirassistischen Beitrag zu einem erweiterten Demokratieverständnis in der deutschen Geschichte und Gegenwart geleistet haben und immer noch leisten. Diese Persönlichkeiten stellen wir als „dekoloniale Persönlichkeiten der Demokratie” mit einem Portrait und einer Kurzbiographie auf der Homepage vor und möchten dadurch an deren Kampf gegen Kolonialismus, Imperialismus, und Rassismus erinnern. Die Liste der Persönlichkeiten ist jedoch nicht vollständig und soll durch Beiträge aus antirassistischen, post- und dekolonialen Netzwerken und Initiativen ständig erweitert werden. Wir hoffen, dass dieses Projekt dazu beiträgt, diejenigen Menschen zu beleuchten, die an der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Demokratie zwar beteiligt sind, aber oftmals ausgeblendet oder ignoriert werden.
Wir sind dabei inspiriert von ähnlichen Projekten, welche vergessene oder wenig beachtete Biographien von Schwarzen Menschen und People of Color in Deutschland und Europa würdigen. Dazu gehören unter anderem das Projekt Homestory Deutschland oder Black Central Europa, sowie die Bücher Spiegelblicke – Perspektiven Schwarzer Bewegung in Deutschland von Denise Bergold-Caldwell, Laura Digoh, Hadija Haruna-Oelker, Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum, Camilla Ridha, und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Afropäisch – Eine Reise durch das schwarze Europa von Johny Pitts, oder Mapping Black Europe von Natasha A. Kelly und Olive Vassell.
Projektbeteiligte:
Jordan Awori, Annika Burghoff, Sebastian Garbe, Tülay Güneş, Maya Heins, Cornelia Pürschel, Mirjam Tutzer.
Call for Contribution
Wir suchen Eure Vorschläge oder Texte zur Erforschung und Würdigung dekolonialer Persönlichkeiten in der deutschen Demokratiegeschichte: Offener Aufruf zur Einreichung von Beiträgen/Beteiligung
We are looking for your contributions for research and recognision of decolonial personalities in the historiy of german democracy: Open Call for Contribution/Participation
-
Anton de Kom
Geboren wurde Cornelis Gerard Anton de Kom 1898 in Paramaribo, der Hauptstadt des südamerikanischen Landes Suriname. Er wuchs im Arbeiterviertel Pontewerfstraat auf und besuchte eine weiterführende Schule, die er mit einer Art Mittleren Reife (Meer Uitgebreid Lager Onderwijs, MULO) abschloss. Nach einer kurzen Bürotätigkeit arbeitete er als Buchhalter bei der Gummifirma Balata Compagnie. Schon bald…
-
Ahmad Taheri
Im April 1969 erlebte die Goethe Universität Frankfurt a. M. die bis dato eindrücklichsten Proteste ihrer Geschichte. Eine Woche lang beteiligten sich zeitweise über tausend Studierende an Blockade-Aktionen auf dem Campus der Universität. Ausgelöst durch den Ablehnungsbescheid der Re-Immatrikulation des iranischen Studenten Ahmad Taheri.
-
Theodor Wonja Michael
Zusammen mit weiteren Angehörigen seiner Generation steht er für die Verbindung der kleinen Schwarzen und afrikanischen community, die um die Kolonialzeit herum bis zum Ender der Weimarer Republik bestand, mit der jüngeren Generation Schwarzer Menschen, die vor allem seit der Veröffentlichung von Farbe bekennen, sowie die Gründung von ADEFRA und ISD sichtbarer geworden ist.
-
Semra Ertan
Semra Ertan war eine Schriftstellerin und Arbeitsmigrantin. Semra Ertan starb mit 25 Jahren in Hamburg. Sie verbrannte sich öffentlich aus Protest gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antifeminismus und starb an den Folgen der Verbrennungen zwei Tage später.
-
Hans J. Massaquoi
Mit seinem Engagement für demokratische Prinzipien, insbesondere für die Gleichheit der Menschen und Chancengleichheit war und ist Hans J. Massaquoi für viele Menschen, nicht zuletzt für Schwarze Deutsche und Deutsche of Color eine wichtige, identitätsstiftende und stärkende Figur.
-
James W. C. Pennington
James W.C. Pennington (1807-1870) war ein afroamerikanischer Redner, Schriftsteller und Geistlicher, der für seinen Einsatz für die Abschaffung der Sklaverei in Europa bekannt wurde und als erster Schwarzer die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg erhielt.
-
Fasia Jansen
„Ich habe erlebt, wie Menschen in wenigen Monaten zu Tieren werden können, wenn man ihnen kaum etwas zu essen gibt“, berichtet die deutsche Sängerin und Aktivistin Fasia Jansen über ihre Zeit als Köchin im KZ Neuengamme.
-
FeMigra
Nach verschiedenen rassistischen Angriffen in Deutschland seit der Wiedervereinigung, bildete sich 1991 in Frankfurt am Main die Gruppe Feministische Migrantinnen (FeMigra), um auf diese rassistischen Angriffe zu reagieren. Gemeinsam mit anderen selbstorganisierten Gruppen von Migrant*innen und Menschen auf der Flucht arbeitete FeMigra an einem Notruf-Netzwerk und organisierte Treffen zum Thema Widerstand gegen die „Festung Europa“.…
-
Audre Lorde
Audre Lorde widmete ihr Leben und ihre Arbeit Themen wie Rassismus, Sexismus, Feminismus, Klassismus, Bürgerrechten, Politik und Homophobie. Sie bezeichnete sich selbst als „Schwarz, Lesbe, Feministin, Dichterin, Kämpferin, Mutter“.
-
May Ayim
May Ayim war eine afro-deutsche Dichterin, Autorin, Pädagogin und Aktivistin. Sie ist vor allem bekannt für ihre Arbeit in der afro-deutschen Geschichte. Insbesondere ihre Rolle bei der Gründung der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. sowie Ayims Gedichte sind heute weit bekannt.
-
Willi Münzenberg
Der Name Wilhelm „Willi“ Münzenberg ist eng mit zwei Bereichen seines Schaffens verknüpft: Agitation und Propaganda durch seine, mit den politischen Kampagnen und Netzwerken eng verknüpften, Medienunternehmungen – was ihm den Spitznamen des „roten Medienzars“ einbrachte – und seine Aktivitäten auf dem Feld transnationaler und antikolonialer Solidarität in der Zwischenkriegszeit.
-
Joseph Ekwe Bilé
Joseph Ekwe Bilé steht für die Geschichte des internationalen Widerstands gegen Kolonialismus, afrodiasporische Vernetzung und Selbstorganisation, für die Deutschland und insbesondere Berlin für eine kurze Zeit nach dem ersten Weltkrieg zu einem zentralen Schauplatz wurden.
-
Antonius Guilielmus Amo Afer
Antonius Guilielmus Amo Afer ist im 18. Jahrhundert der erste Schwarze Philosoph in Deutschland, der im akademischen Kontext an verschiedenen Hochschulen studiert und unterrichtet. Er gilt als Vertreter der Frühaufklärung und als Vordenker des Antirassismus.
-
Serpil Unvar
Serpil Temiz Unvar ist die Gründerin der Bildungsinitiative Ferhat Unvar. Sie wurde in Mardin, in der Türkei geboren und kam mit etwa 20 Jahren nach Deutschland. Dort arbeitete sie unter anderem als ehrenamtliche Journalistin für eine kurdische Zeitung. Der 19.02.2020 stellte eine Zäsur in ihrem Leben dar.
-
Mirrianne Mahn
Mirrianne Mahn, geboren 1989 in Kamerun, ist Stadtverordnete für die Partei Bündnis 90/Die Grünen in Frankfurt am Main sowie freiberufliche Referentin für Diversitätsentwicklung und Antidiskriminierung, politische Aktivistin, und Theatermacherin.
-
Angela Davis
Angela Davis ist eine US-amerikanische politische Aktivistin, Wissenschaftlerin und Autorin, die eine lange Beziehung zu Frankfurt am Main und zur Frankfurter Schule der kritischen Theorie hat.